Das Reizdarmsyndrom
Der Begriff Reizdarm ist keine wirkliche Diagnose, sondern beschreibt einen Symptomenkomplex-genauso wie Kopfschmerzen auch keine Diagnose darstellen.
Die Symptome sind nach der Übereinkunft in den ROM IV Kriterien festgehalten:
Spasmen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Meteorismus. Obligat sind Schmerzen im Bauchbereich mindestens an 1 Tag in der Woche und noch weitere Faktoren.
Immerhin sollen 20-30 % der Bevölkerung betroffen sein mit einem Altergipfel vom 20. bis 40. Lebensjahr. Frauen sind doppelt so häufig betroffen.
Es handelt sich um eine definitionsgemäß rein funktionelle Erkrankung, da endoskopisch kein Korrelat für die Beschwerden gefunden werden kann.
Viele der Betroffenen ernähren sich nach landläufiger Meinung eher besonders gesund und sind trotzdem krank. Bekannt ist der Grundsatz: man lebt nicht von dem, was man isst, sondern von dem, was man verdaut. Und man könnte noch hinzufügen: was hilft die gesündeste Nahrung, wenn mein Körper krank davon wird-das heißt: was ist für mich gesund?
Genaue Ursachen des Reizdarms sind bisher unbekannt. Erklärungsversuche sieht man in einer erhöhten Empfindlichkeit des enterischen Nervensystems mit Beeinträchtigung der Darm-Hirnachse und möglicherweise gestörtem Serotoninstoffwechsel. Außerdem vermutet man eine Ursache durch Mikrobiomveränderungen. Einer ganzen Reihe von chronischen Reizdarmsymptomen ging eine Episode mit Antibiotikaeinnahme oder eine schwere gastrointestinale Infektion voraus.
Wichtig ist die Differentialdiagnose zu anderen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, die aber durchaus individuelle Schnittmengen mit dem RDS( Reizdarmsyndrom) haben können.
Hierzu zählen: Nahrungsmittelintoleranzen ( Fruktose, Laktose, Sorbit), Nahrungsmittelallergien ( zB. Weizen, Gluten), Histaminintoleranz, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Mangel an Enzymen und Mikronährstoffen, Toxinbelastungen,Motilitätsstörungen,Gallensäurerückresorptionsstörungen, Divertikulose, Candidose, Dysbiose und mehr.
Eine genaue Anamnese der Stuhlgewohnheiten im Rahmen einer möglichst umfangreichen ganzheitlichen Anamnese ist zwingende Voraussetzung ,um den Patienten mit seiner individuellen Beschwerdesituation vollumfänglich zu erfassen. Hierbei sollte auch nach der psychischen Befindlichkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit , Hautveränderungen, Herzkreislaufbeschwerden usw. gefragt werden. Sodann sollte eine schulmedizinische Basisdiagnostik mit Abdomenpalpation, Sonografie und Labor erfolgen. Selbstverständlich sollten auch die bekannten Atemtests zum Ausschluss der Kohlenhydratintoleranzen durchgeführt werden.. Zuletzt schließen sich die endoskopischen Verfahren an.
Viele meiner Patienten sind vollständig und regelrecht diagnostiziert worden und es wurden keine pathologischen Befunde erhoben, welche die Beschwerden erklären konnten, obwohl der Leidensdruck immens ist. Die Symptome werden deshalb als „ funktionell“ bezeichnet und deshalb auch immer wieder in den Bereich der psychosomatischen Beschwerden eingereiht.
Nach meinem Verständnis wird man diesem Beschwerdebild bei einer so großen Anzahl von Betroffenen mit ähnlichen Klagen nicht gerecht. Es fragt sich, ob nicht häufiger das körperliche Leiden auch eine seelische Beeinträchtigung nach sich zieht.
Also ist es erforderlich, dass man tiefer nach Ursachen forscht.
In meiner ganzheitlichen Sprechstunde beginne ich regelmäßig nach der umfassenden Anamnese mit der Messung des vegetativen Nervensystems(HRV). Hier kann ich schnell eine parasympathische Dysfunktion erkennen, welche eine Dysfunktion im Gastrointestinaltrakt mitbedingen kann. Der Parasympathikus steuert wesentlich die Verdauungsfunktion.
Ein für mich unverzichtbarer Teil meiner komplementärmedizinischen Diagnostik ist die Untersuchung nach den Regeln der Applied Kinesiology ( nicht schulmedizinisch validiert ). Hier kann ich nach meiner Erfahrung schon eine gewisse Tendenz der Beschwerdeursachen finden, welche dann auch die nachfolgende Labordiagnostik bestimmt. Meistens liegen immer verschiedene Gründe vor, die schließlich zu der Chronifizierung der Beschwerden geführt haben. Eine genetische Disposition mag immer wieder vorliegen, aber Umweltfaktoren führen dann schließlich zum Ausbruch der Symptome.
Welches Laboruntersuchungen machen zusätzlich Sinn?
Hier versuche ich ein sinnvolles Vorgehen, da eine ganze Reihe der hauptsächlich komplementärmedizinischen Laboruntersuchungen keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen darstellen.
Hierzu zählen in erster Linie die Stuhluntersuchungen zur Mikrobiomdiagnostik , welche wirklich in den meisten Fällen-für mich- unverzichtbar sind. Außerdem ist es wichtig, einen Überblick über die Schleimhautsituation des Darms ( leaky gut?) und Entzündungszeichen sowie die Abwehrbereitschaft und ggf eine mangelnde Verdauungsleistung des Pankreas zu bekommen. Individuell je nach den Ergebnissen der kinesiologischen Untersuchung stellt sich dann die Frage nach weiteren Labortests hinsichtlich Histaminabbaustörung ( zB DAO,DAO Aktivität, Histamingehalt des Stuhls, Histaminmetaboliten im Urin ect), Candidabelastung und Parasitendiagnostik, welche schwierig ist, aber deshalb trotzdem versucht werden sollte. Selbstverständlich sind auch Tests auf Nahrungsmittelintoleranzen mit IGE- und eventuell IGG -( zumindest umstritten) Bestimmungen individuell erforderlich.
Schließlich ist es wichtig, die Mikronährstoffe, welche für die Darmfunktion wichtig sind, zu analysieren und ggf einen Blick auf das Serotonin und den Tryptophanstoffwechsel zu werfen.
Insgesamt wird man mit diesen Analysen einen guten Einblick auf die individuelle Situation gewinnen können und danach die Therapiestrategie ausrichten. Sehr häufig sind allerdings dann Ernährungsumstellungen erforderlich, die nicht immer beliebt sind. In den meisten Fällen müssen sie keineswegs für immer sein, aber ohne Disziplin geht es nicht. Wenn die Patienten aber sehen, dass aber Maßnahmen greifen, ist die Motivation oft sehr hoch. Natürlich kann man sehr gut mit einer Fülle unterschiedlicher Darmtherapeutika unterstützend eingreifen- allerdings nicht nach dem Motto: viel hilft viel, sondern gezielt und nach einem sinnvollen Schema. Detox-und Entsäuerungsmaßnahmen, Entlastungstage, Stressmanagement, Bauchmassagen, Colon-Hydrotherapie, Leibwickel, Bewegung, Meditationsformen, Stärken der Mitte mit Maßnahmen aus der TCM, uvm können außerdem Unterstützung bieten.
Und das Wichtigste:
Zeit nehmen zum Essen, slow food, Konzentration auf das Essen und: Kauen, kauen, kauen.
So kann in vielen Fällen das chronische RDS sehr günstig beeinflusst werden, selbst wenn eine gewisse Darmempfindlichkeit bleibt. Aber wenn man weiß, was man tun muss, um wieder ins Lot zu kommen, ist man dem Ganzen nicht mehr hilflos ausgeliefert.
Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit
Ulrike Walter